News
Umwelt und Nachhaltigkeit

Klimakiller Internet - Daten verursachen mehr Treibhausgase als der Flugverkehr

Unsere Daten verursachen mehr CO2 als der internationale Flugverkehr. Viel davon ist Spam und Pornographie. Von Justus Bender, Frankfurter Allgemeine

© geralt/pixabay.com

Wenn ein Jugendlicher jeden Tag drei Stunden Internetfilme schaut, verursacht das im Jahr mehr CO2-Emissionen als ein Flug von Frankfurt nach New York. Drei Stunden sind der Durchschnittswert, den deutsche Jugendliche laut einer DAK-Studie mit Internetfilmen verbringen, die CO2-Emissionen hat ein französischer Thinktank ausgerechnet. 

Flugzeuge sind für Klimaschützer besonders anstößig. Der gesamte Flugverkehr auf dem Planeten verursacht 3,5 Prozent aller Treibhausgase. Das Internet verursacht aber vier Prozent. Im Jahr 2025 könnten es sogar acht Prozent sein. Wäre das Internet ein Land, wäre es heute schon auf Platz sechs der größten Emittenten. Allein die Videos, die im Internet abgespielt werden, erzeugen so viele Treibhausgase wie ganz Spanien. Große Streaminganbieter wie Netflix und Amazon Prime haben die gleichen Emissionen wie Chile. Jede Google-Suche, jede E-Mail, jedes Werbebanner und jedes Tiktok-Video beschäftigen Rechenzentren auf der ganzen Welt. Die sind so groß wie Shopping-Center und verbrauchen etliche Megawatt an Strom. Und weil die Prozessoren jedes Watt in Wärme umwandeln, braucht es noch mehr Strom, um sie mit Ventilatoren auf Zimmertemperatur zu kühlen. Je nachdem, wo der Strom herkommt, verursacht das Treibhausgase. In Deutschland wird wegen des Atomausstiegs und der Gaskrise gerade besonders viel Braunkohle verstromt, Frankfurt ist der weltweit größte Internetknotenpunkt. So macht jedes Selfie auf Instagram den Planeten ein bisschen wärmer.  

In der Klimapolitik wird oft über Sparsamkeit und Verzicht gesprochen. Wer eine Kreuzfahrt macht, Kurzstrecke fliegt und mit dem Geländewagen durch Innenstädte fährt, gilt als Sünder. Im Internet ist das anders. Dort herrscht große Unbekümmertheit. Der Sohn schaut Netflix-Videos in HD-Qualität und chattet nebenbei auf Whatsapp, die Tochter lädt Urlaubsfotos in die Cloud, Mama ist in einer Videokonferenz, und Papa streamt Fußball. Neben solchen Datenströmen, die gewollt sind, gibt es viel Müll und Zweifelhaftes.

Die Hälfte aller E-Mails sind Spam, also ungewollte, manchmal kriminelle Werbung. Das sind 175 Millionen Spam-Mails am Tag, sie verursachen schätzungsweise 600.000 Tonnen CO2 im Jahr. 27 Prozent aller Online-Videos sind Pornofilme, das verursacht so viele Emissionen wie alle französischen Privathaushalte in einem Jahr. Auf vielen Internetseiten ist es so, dass Videos schon anfangen zu spielen, wenn man sie nur öffnet. Ist ein Video vorbei, springt es automatisch zum nächsten. Manche Menschen machen mit ihrem Handy nie nur ein Foto, sondern fünf bis acht, die dann automatisch in eine Cloud hochgeladen werden. Andere streamen Kinofilme über einen Stick auf ihren Fernseher. Haben sie keine Lust mehr, schalten sie nur den Fernseher aus, der Stick saugt stundenlang weiter Daten. Den Kunden kostet das nichts, aber in den Rechenzentren glühen die Prozessoren.  

Die Stimmung ähnelt den Achtzigerjahren, als man beim Zähneputzen den Wasserhahn laufen ließ, im ganzen Haus die Lichter brannten und das Auto im Winter bei Besorgungen manchmal mit laufendem Motor abgestellt wurde, damit es schön warm bleibt. Die Vorsitzende des Verbands der Rechenzentren, Anna Klaft, sagt: „Die normalen Menschen denken nicht darüber nach, was das bedeutet. Es ist der Endnutzer, der das verursacht. Man muss es den Menschen klarmachen, dass 20.000 Whatsapp-Nachrichten auch ein Verbrauch sind.“  

Als Greta Thunberg mal in New York bei den Vereinten Nationen auftreten sollte, reiste sie mit einem Segelboot an. Wie hätte das auch ausgesehen, wenn sie in einem schmutzigen Flugzeug gekommen wäre? Sie hielt also ihre Rede, und die wurde auf Youtube gestellt, und 5,4 Millionen Menschen auf der ganzen Welt schauten sie an. Das verursachte 422 Tonnen CO2, so viel, wie bei 97 Flügen von München nach New York entsteht. Als Fridays for Future während der Corona-Zeit auf Onlineproteste auswich, verursachte das jeden Freitag 5,1 Tonnen CO2. So hat es das Institut für Generationengerechtigkeit ausgerechnet, um auf das Problem aufmerksam zu machen. 

Klimaaktivisten sind bei diesen Zahlen seltsam nachsichtig. Keineswegs fordern sie die gleichen drakonischen Verbote wie bei Dingen, die einen Auspuff oder Schornstein haben. Fridays for Future etwa bezeichnet ein Verbot von Inlandsflügen als „dringend notwendig“. Zum Internet gibt es überhaupt keine Forderung. „Ich glaube, das kommt, weil es so unsichtbare Emissionen sind“, sagt die Sprecherin Jule Pehnt. Über das Internet spricht sie anders als über Verkehr oder Kraftwerke, vorsichtiger. „Man muss überlegen, wie man eine Veränderung gestaltet, dass die Menschen mitgehen. Wie man einen Standard, den wir jetzt haben, erhalten und an den nötigen Ecken auch verringern kann.“ Ohne das Internet hätte Fridays for Future ein Problem. „Das ist der Bereich, wo wir am meisten politisieren konnten, wo wir unglaublich viel Erfolg hatten. Es ist klar, dass wir das nicht weglassen können komplett.“ Bei den Aktivisten der „Letzten Generation“, die in diesen Tage die Hauptstadt lahmlegen wollen, gibt es auch Verlustängste: „Wir sind im Alltag in verschiedenen Institutionen auf das Internet angewiesen. Anstatt dass wir darüber streiten, ob wir das Internet in dem Maße weiter nutzen oder nicht, sollten wir darüber sprechen, ob Privatjets weiter fliegen dürfen“, sagt die Sprecherin Aimée van Baalen.

Der FDP-Staatssekretär im Verkehrsministerium, Oliver Luksic, hält das für einen „Fall von klassischer Doppelmoral“. Schließlich blockieren die Klimakleber normale Autofahrer, nicht Privatjets. „Die Krankenschwester ist auch auf ein Auto angewiesen, wenn sie zur Nachtschicht kommt. Es gibt kein gutes oder schlechtes CO2. Würden die Aktivisten zum Internetverzicht aufrufen, würden sie an Beliebtheit bei der jungen Generation verlieren.“ Klaft vom Verband der Rechenzentren sagt: „Schalten Sie mal ein Rechenzentrum ab und schauen Sie, was passiert. Natürlich beschweren sich dann die jungen Leute, die mit ihren Telefonen den ganzen Tag zugange sind.“  

Der frühere IT-Unternehmer und Grünen-Abgeordnete Maik Außendorf verteidigt die Aktivisten. „Das ist das typische Argument gegen Fridays for Future. Nach dem Motto: Erst gehen sie demonstrieren, und dann gucken sie auf ihrem Handy Netflix. Das sagen oft die Leute, die den ganzen Abend vor riesigen Fernsehern sitzen.“ Studien zeigten, dass die Endgeräte viel mehr Emissionen verursachten als der Datenstrom. Besonders die Herstellung verursacht viel CO2.  

Viele argumentieren, dass das Internet am Ende mehr Einsparungen bringt als Kosten. Staatssekretär Luksic sagt: „Es gibt zwar immer mehr digitale Dienste, die Strom verbrauchen, aber virtuelle Güter ersetzen physische Produkte: CDs verschwinden, Transportkosten verschwinden.“ Der Chef der E-Mail-Portale GMX und Web.de, Jan Oetjen, betreibt Rechenzentren, die 24 Millionen Kilowattstunden im Jahr Strom verbrauchen. In seinem Fall ist das Ökostrom, bei anderen nicht. Aber Oetjen findet das besser als den 20.000 Kilometer hohen Stapel an Briefen, die im Jahr in Deutschland versendet werden. Ein Brief erzeugt 280 Gramm CO2, eine E-Mail nur 10 Gramm. Auch die schleppende Digitalisierung von Behörden verursacht viel Treibhausgas. „Die Klimakleber müssten sich eigentlich vor die Ämter und Behörden kleben und die Digitalisierung vorantreiben“, sagt Oetjen.  

Das Umweltbundesamt hat mal die CO2-Emissionen einer Videokonferenz gemessen, wie sie in der Corona-Zeit immer beliebter wurden. Ergebnis: Zwei Stunden Konferenz sind wie einen Kilometer mit dem Bus fahren. Würden alle Teilnehmer ins Büro fahren, wäre der Ausstoß also höher. Das Internet spart Emissionen. Es verursacht sie aber auch. Und das nicht immer zum Nutzen der Gesellschaft. Fachleute sagen, man kann Daten sparen, ohne jemanden einzuschränken. Bisher interessieren sich nur zu wenige dafür. Die Informatikerin Marina Köhn vom Umweltbundesamt sagt: „Da kümmern sich noch nicht so wahnsinnig viele drum.“ 

Das Amt will nun Programmierern helfen, sparsamere Software zu schreiben. Dafür vermisst die Behörde den Verbrauch von gängigen Unterprogrammen, die Programmierer oft verwenden. In Zukunft können sie dann das sparsamste auswählen. Außerdem vergibt das Amt Blaue Engel, also Umweltzertifikate, an Computerprogramme, die wenig Strom verbrauchen und so das Klima schonen. 

Köhn beobachtet auf den Straßen ständig Leute, die ihr Handy vor das Gesicht halten und nicht ans Ohr. Videocalls erzeugen viel mehr Daten als normale Anrufe. „Durch Flatrates hat der Nutzer gar nicht die Motivation, weniger zu verbrauchen. Da erziehe ich nicht dazu: Ich muss doch nur kurz anrufen und denjenigen nicht sehen. Das ist kontraproduktiv.“ Immer öfter müssen Bürger für die Umweltkosten ihres Konsums zahlen, nur nicht beim Datenstrom ihres Internets. Der Grünen-Politiker Außendorf kann sich trotzdem nicht vorstellen, dass sich das ändert: „Ich glaube, das müsste anders gelöst werden. Daten sind viel zu wichtig. Es geht ja nicht nur um Streaming, sondern um Bildung, Homeoffice, Videokonferenzen. Die brauchen eine irre Bandbreite. Wenn wir da jetzt anfangen einzuschränken, verbauen wir uns zu viel.“ 

Viel ginge ohne echten Verzicht. Laut Oetjen von GMX macht jeder Deutsche im Schnitt 2000 Fotos im Jahr, die dann in eine Cloud gepumpt werden. Sie schauen Filme in 4K-Qualität auf kleinen Monitoren, obwohl eine geringere Auflösung reichen würde. „Zum Beispiel durch Priorisierung und Komprimierung von Daten kann man ohne Einbußen der Bequemlichkeit einiges erreichen“, sagt Oetjen. Pehnt von Fridays for Future stört sich an der Werbung, die überall aufploppt, weil ihre Bewegung diese Konsumkultur ohnehin kritisiert. „Das ist ein Datenverbrauch, der einfach nicht nötig ist“, sagt sie.  

Nun hat das Bundeskabinett ein Energieeffizienzgesetz verabschiedet. Es verpflichtet Rechenzentren, mehr Ökostrom zu nutzen, sparsamer zu sein und ihre Abwärme in das Fernwärmenetz einzuspeisen. Mit allen Rechenzentren in Deutschland könnte man eine Großstadt heizen. Der Verband der Rechenzentren warnt vor zu strengen Regeln. Wenn Deutschland Rechenzentren braucht, um Behördenbriefe durch Onlineformulare und Dienstreisen durch Videokonferenzen zu ersetzen, darf es deren Betrieb nicht zu unattraktiv machen. Der Bedarf wird so oder so wachsen. „Der Endkunde ist gefragt“, sagt Klaft vom Verband der Rechenzentren. „Wenn das Verhalten der Menschen so bleibt, wird der Stromverbrauch steigen.“ 

Quelle: https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/das-internet-verursacht-mehr-treibhausgase-als-fliegen-18838849.html